Daniel Bischof

Dr. phil – Psychoanalytiker

Fachpsychologie für Psychotherapie FSP

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Der Mensch – ein homo sapiens? – Ein weiser Mensch also?​

Das kann man wohl nicht allgemein sagen; es ist nur wenigen Menschen beschieden weise zu sein. Die Meisten reiben sich auf in unendlicher Plackerei um Ruhm, Macht und Besitz. Vielleicht hätte man besser den homo sapiens homo fingens genannt, denn ‚fingens’ heisst, der sich vorstellende Mensch‘. Der Mensch ist ein Lebewesen, das eine ausserordentliche Fähigkeit hat sich etwas vorzustellen – zum Guten wie zum Schlechten.

So hat der Historiker Yuval Harari in seiner Arbeit (z.B. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, 2014) deutlich gemacht, dass sich der Homo Sapiens nur hat durchsetzen können, weil er in der Lage war, Geschichten zu erzählen. Er konnte sich etwas ausdenken, das es unter Umständen gar nicht gibt. Und er konnte es den Andern glaubhaft mitteilen. So sollen die grossen Mythen entstanden sein, die dem sozialen Gefüge eine geistige Struktur geben.

Harari schreibt über diese Fähigkeit: „Das Einmalige ist, dass wir uns über Dinge austauschen können, die es gar nicht gibt. Soweit wir wissen, kann nur der Sapiens über Möglichkeiten spekulieren und Geschichten erfinden. – Legenden, Mythen, Götter und Religionen tauchen erstmals mit der kognitiven Revolution auf. Viele Tier- und Menschenarten konnten ‚Vorsicht Löwe!‘ rufen. Aber dank der kognitiven Revolution konnte nur der Sapiens sagen: ‚Der Löwe ist der Schutzgeist unseres Stammes.‘“ (Harari, Y., 2014, S. 37)

Die kognitive Revolution nennt Harari eine Entwicklung, die vor rund 70’000 Jahren stattfand. Zu dieser Zeit erhöhte sich die zerebrale Fähigkeit aus noch nicht wirklich bekannten Gründen. Die Fähigkeit etwas, das real nicht existiert, nicht nur vorzustellen, sondern ihm auch einen Wert zu geben, trat hinzu. Daraus soll sich nach Harari eine ungeheure Bewegung ergeben haben: der Mensch, der schutzlos und schwach an Kräften, in der Nahrungskette lange Zeit eine mittlere Stellung inne hatte und deshalb den Raubtieren und Naturkatastrophen recht schutzlos ausgesetzt war, fand sich allmählich in einer anderen Situation. Er erlernte nicht nur kompliziertere Techniken, um sein Leben zu schützen und sich einfacher Nahrung zu verschaffen.

Die grössere Vorstellungsfähigkeit führte auch dazu, dass die Stammesgruppen grösser wurden. Warum? Früher mussten die einzelnen Mitglieder einer Gruppe den Häuptling real und praktisch kennen, um ihn verehren zu können. Nach der kognitiven Revolution war es möglich, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl auf einer Vorstellung, einem Glauben so zu sagen, beruhte: Alle, die an einen Löwen glaubten, gehörten dem gleichen Stamm an. Damit war ein Stamm nicht mehr auf eine reale Person als Führer angewiesen, sondern auf einen Glauben und eine Vorstellung einer metaphysischen Grösse. Diese repräsentierte den ehemaligen Häuptling.

Die Repräsentations-Fähigkeit ist in diesem Sinn eine Fähigkeit, die die Geschichte der Menschheit überhaupt möglich gemacht hat. Diese Fähigkeit haben wir auch heute noch. Und auch heute noch tragen wir Bilder in uns, die uns entweder die Welt und die anderen Menschen günstig erscheinen oder sie fürchten lassen. Man kann sich fragen, wie denn eigentlich diese inneren Bilder entstehen; denn sie entscheiden in hohem Masse über unser psychisches Wohlbefinden.

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