Daniel Bischof

Dr. phil – Psychoanalytiker

Fachpsychologie für Psychotherapie FSP

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Lieder ohne Worte

Den Titel ‘Lieder ohne Worte’ hat Felix Mendelssohn einer Reihe von kleineren Kompositionen gegeben. Ein Lied hat üblicherweise einen Text. Aber hier fehlt er. Und trotzdem kann er entstehen; wenn auch individuell verschieden, bei jedem Menschen etwas anders. Diese Musik weckt Assoziationen, Bilder, Erinnerungen oder gesprochene Worte.
Ähnlich ist es dem amerikanische Schriftsteller Paul Auster ergangen, als er einer Tanz-Company beim Proben zuschaute. Er war damals selbst in einer schwierigen Situation, seine Ehe war eben gescheitert, mit dem Schreiben ging’s nicht vorwärts und er hatte kein Geld. Ein Freund nahm ihn mit zu dieser Aufführung.
Acht junge Tänzerinnen und Tänzer betraten die Bühne und tanzten. Er schreibt, wie tief berührt er war, «den brodelnden und offenbarenden Moment der Klarheit zu erleben, der dich durch einen Spalt ins Universum stösst und dir erlaubt neu zu beginnen.» Es gab keine Musik. Man hörte nur das Geräusch der Bewegungen der Tänzer und dasjenige der nackten Füsse, die auf den Holzboden traten. Aber «der blosse Anblick ihrer Körper in Bewegung schien dich an einen unerforschten Ort in dir selbst zu tragen und nach und nach fühltest du wie sich in dir etwas erhob …».
In diesem Moment der Versunkenheit in sich selbst trat die Choreographin auf die Bühne und versuchte zu beschreiben, um was es geht. Der Moment ihres Sprechens war wie ein Schnitt in die Welt, in die Auster eingetaucht war. Er erklärt es so: «Es war nicht ihr Gebrauch von technischen Ausdrücken, die du nicht kanntest. Es war die grundsätzlichere Tatsache der Nutzlosigkeit ihrer Wörter, wenn sie versuchte, die wortlose Aufführung zu beschreiben, die du eben gesehen hattest. Keine Worte hätten die Fülle und rohe Körperlichkeit dessen vermitteln können, was die Tänzer gezeigt haben.»

Worte sind von einer grundlegenden Wichtigkeit, auch im psychotherapeutischen Prozess. Aber nicht alles, was wichtig ist, wird in Worten ausgedrückt. Oder vielleicht muss man auch sagen: ‘… kann noch nicht in Worten ausgedrückt werden.’ Denn das Finden der Worte für etwas, was einem bewegt, ist schon etwas sehr Wichtiges. Allein, es ist nicht ausreichend, um einen Zugang zu seinem inneren Erleben zu finden. Manchmal ist gerade das Schweigen, das Einhalten mit dem Sprechen, das, was uns vor Augen führt, was uns bewegt.

Paul Auster, London, Faber & Faber 2012, p. 220ff
Übersetzung: DB